Die Sagen der Stadt Halle (Saale)
Vom Schellenmoritz
Man erzählt sich, dass gleichzeitig, als Schellenmoritz die Moritzkirche erbaute, seine Schwester den bei Weitem umfangreicheren Bau der Moritzburg ausgeführt habe. Während nun Moritz gegen seine Bauleute gewütet, habe seine Schwester sich stets gegen dieselben sehr liebreich gezeigt. Sie soll nun mit ihrem jähzornigen Bruder die Wette gemacht haben, dass sie bei ihrer Geduld und Sanftmut weit eher mit ihrem größeren Bau fertig sein werde, als er bei seiner Strenge.
Nun erst soll Moritz mit seinem von dem Bexillum noch übrigen Stabe gegen die Arbeiter gewütet haben, weshalb seine Schwester ihm den Schellengürtel, natürlich mit seiner Genehmigung, habe fertigen lassen.
Wiewohl nun die Moritzburg ein weit stattlicherer Bau als die Moritzkirche war, so ward sie doch eher vollendet als letztere, und nun schließt dieselbe Sage damit, dass, als die leutselige Schwester ihrem unmenschlichen Bruder ihr vollendetes Werk gezeigt habe, letzterer vor Neid über den herrlich gelungenen Bau sich plötzlich zum Morde seiner Schwester habe hinreißen lassen.
An die Gestalt des Kaisers Maximilian, der unter den Füßen des Schellenmoritz in der verrenktesten, demütigsten Stellung dargestellt ist, knüpfte das Volk folgende Sage: Als der Schellenmoritz in seinem Jähzorn seine Schwester über die Brüstung des Altans der Moritzburg gehoben und in die Fluten der Saale gestürzt hatte, raste er wutentbrannt zur Moritzkirche, die noch nicht ganz fertig geworden war.
Der Baumeister stand gerade auf dem Gerüst; als er ihn daherkommen sah und seine Schellen noch heftiger klangen als sonst, ahnte ihm nichts Gutes. Wütend kam er die Treppe hinauf gerannt. "Elender Schurke, meine Schwester hat ihre Eile teuer bezahlt, du sollst deine Faulheit noch teurer büßen". Damit ergriff er ihn, schmiss ihn zu Boden und knickte ihm den Hals um. Dann warf er ihn zum Gerüste herunter und wandte sich mit gezücktem Schwerte gegen die Arbeiter.
Alles ergriff eilig die Flucht, und was nicht floh, stach er nieder. Damit hatte der Bau der Moritzkirche ein Ende, denn es fand sich kein Baumeister, kein Maurer mehr, der noch an der Kirche arbeiten wollte, und so ist die Kirche ohne Turm geblieben bis auf den heutigen Tag.
Man hat es einmal versucht und an der Saale einen Turm errichtet mit einer welschen Haube, aber er hat nicht gehalten. Man sagt, der Schellenmoritz sei, solange derselbe gestanden habe, jede Nacht aus dem Grabe gekommen und habe solange daran gerüttelt und gewackelt, bis er wieder eingefallen ist, und so wird es jedem Turm gehen, den man dahin bauen wird.
Zur Erinnerung aber an die Schwester des Schellenmoritz hat man ihr Standbild über dem östlichen Eingang in die Moritzburg angebracht, das Standbild des Schellenmoritz jedoch steht in der Kirche. Noch hat er den Stab in der Hand, mit dem er die Arbeiter schlug, und noch hängen die Schellen an dem Kleide, die ihm die gute Schwester daran genäht hatte. Unter ihm aber kniet der Baumeister mit umgeknicktem Haupte zum ewigen Gedächtnis an die Grausamkeit seines Herrn.
(aus: Siegmar Schultze-Gallera, Die Sagen der Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922)